Prof. Dr. med. Kurt Gdanietz zum 90. Geburtstag

Kurt Gdanietz - der „Kinderchirurg mit Leib und Seele“ - vollendet am 24. Januar 2018 sein 90. Lebensjahr. In den neun Jahrzehnten erlebte er mit dem Zweiten Weltkrieg, mit der Teilung Deutschlands und seiner Wiedervereinigung bewegte Zeiten. Ungeachtet aller politischer Wirren blieb sich Kurt Gdanietz immer treu. Aufrecht, geradlinig, verantwortungsbewusst, empathisch, gewissenhaft, zuverlässig, humorvoll und parteilos ging er als Arzt und Kinderchirurg seinen Weg und ist das Vorbild mehrerer Generationen. Seine Kollegen, Schüler und Patienten gratulieren ihm voller Hochachtung und Dankbarkeit und wünschen ihm weiterhin Gesundheit und Erhalt seiner  beeindruckenden geistigen Spannkraft. Er darf diese Glückwünsche als Nestor der deutschen Kinderchirurgie entgegen nehmen.

Kurt Gdanietz wurde in Danzig geboren und wuchs in Stargard in Hinterpommern (jetzt Szczeciński) zweisprachig auf. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs siedelte die Familie nach Berlin um, wo er die Oberschule besuchte und 1947 sein Abitur bestand. Seine Schulzeit wurde durch Kriegseinsatz unterbrochen – er wurde zum Bau des „Ostwalls“ verpflichtet. Nach dem Abitur erlernte er das Maurerhandwerk, erwarb den Gesellenbrief und war am Wohnungsbau der Stalin-Allee und der Sowjetischen Botschaft in Berlin beteiligt. 

1950 erhielt er die Zulassung zum Studium der Humanmedizin an der Humboldt-Universität in Berlin. Bereits während des Studiums erwachte sein Interesse an der Chirurgie. Zielbewusst erwarb er sich als Vorpräparant im Anatomischen Institut überragende anatomische Kenntnisse, die ihm bei jeder noch so diffizilen Situation am Operationstisch Übersicht und Besonnenheit bescherten und die er von jedem seiner Schüler konsequent und exakt verlangte. Mit tierexperimentellen Arbeiten im Endokrinologischen Institut der Charité erlernte er unter Professor Walter Hohlweg die Grundzüge wissenschaftlicher Forschungsarbeit und schloss seine Promotion 1957 erfolgreich ab.

Nach dem Staatsexamen 1955 erhielt er im Landeskrankenhaus Lübben eine breite und fundierte Ausbildung in den Fachgebieten Allgemeinchirurgie, Gynäkologie/Geburtshilfe, Urologie und Unfallchirurgie. Spezielle Kenntnisse und Erfahrungen in der modernen Anästhesie konnte er sich zwischenzeitlich in der Chirurgischen Universitätsklinik Jena erwerben. Facharzt für Chirurgie wurde er 1961 und Oberarzt 1962.

Im Jahr 1962 wurde er von Frau Dr. Ilse Krause in die Kinderchirurgische Abteilung des Städtischen Krankenhauses Berlin-Buch berufen, wo er Spezialkenntnisse erwarb, die ihn zum Facharzt für Kinderchirurgie, Oberarzt und 1980 zum Nachfolger seiner hoch verehrten Chefin Krause befähigten.

Frühzeitig wurde er in den universitären Lehrbetrieb berufen. Von 1963 bis 1968 hatte er an der Medizinischen Fakultät der Charité einen Lehrauftrag „Praktische Chirurgie“. Nach seiner Habilitation 1973 erhielt er 1976 die Facultas docendi und war mit Wirkung vom 1. Februar 1977 als Honorardozent der erste berufene Kinderchirurg an der Humboldt-Universität Berlin. Der Berufung auf den Lehrstuhl der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald und auf den Lehrstuhl der Charité Berlin war er nicht gefolgt. 1984 wurde er an die Akademie für Ärztliche Fortbildung der DDR als Honorarprofessor berufen.

In dieser Funktion stärkte er das Profil der Kinderchirurgie auf allen Ebenen: Er entwarf das Weiterbildungsprogramm, nach dem in der DDR die Ärzte zum Facharzt für Kinderchirurgie weitergebildet wurden. Als Vorsitzender der Sektion Kinderchirurgie führte er  Verhandlungen mit dem Vorstand der Gesellschaft für Chirurgie der DDR und erreichte die Gründung einer eigenständigen Gesellschaft für Kinderchirurgie, deren Vorsitzender er bis 1990 war. In seiner Publikation „Die Entwicklung der Kinderchirurgie in der DDR 1949 bis 1990“ hat er die Leistungen seiner kinderchirurgischen DDR-Kollegen und besonders die Verdienste der Pioniere des Fachgebietes Kinderchirurgie Fritz Meißner und Ilse Krause gebührend gewürdigt.

Unmittelbar nach der Vereinigung beider deutscher Staaten im November 1990 fand die Übernahme der Mitglieder der Gesellschaft für Kinderchirurgie der DDR in die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie statt. Professor Gdanietz – selbst Mitglied – hatte prognostisch denkend schon im April 1990 auf einer ordentlichen Präsidiumssitzung der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie in Berlin einen entsprechenden Antrag gestellt. Er wurde in das Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie berufen und leitete die 1991 gegründete Akademie für Kinderchirurgie dieser Gesellschaft.

Neben seiner kinderchirurgisch-gesundheitspolitischen Ausstrahlung stand gleichrangig seine jahrzehntelange klinische Tätigkeit als anerkannter und beliebter Arzt, meisterhafter Operateur, souveräner Chef und strenger Lehrer sowie geschätzter Kollege und Kooperationspartner. Die Bandbreite seines Operationsspektrums ist beachtlich: Sie umfasst das gesamte Gebiet der Abdominal-, Thorax-, Unfallchirurgie sowie Kinderurologie einschließlich neugeborener Patienten, wobei er methodisch oft innovative Wege beschritt. Nach seiner Emeritierung hat er noch über 12 Jahre seine umfassenden operativen Erfahrungen einem ambulanten Kinderchirurgie-Zentrum zur Verfügung gestellt.

Wissenschaftlich widmete er sich praktischen Problemen der Operationstechnik. Über 150 Originalarbeiten tragen seinen Namen an erster Stelle, über 300 Vorträge im In- und Ausland hielt er in deutscher, englischer oder in Polen stets in polnischer Sprache. Ungezählte Laudationes für Kolleginnen und Kollegen verfasste er zu entsprechenden Anlässen. 35 Doktoranden, zwei Habilitanden und zahlreiche Diplomanden fanden in ihm einen fordernden und fördernden Betreuer. Als Mitbegründer und Schriftleiter des Zentralblatts für Kinderchirurgie war bzw. ist er außerdem in Redaktionsgremien vieler hochrangiger Zeitschriften aktiv. Sein mit Wolfram Tischer herausgegebenes Lehrbuch „Kinderchirurgie für die klinische Praxis“ war und bleibt ein Standardwerk. 

Professor Kurt Gdanietz ist Mitglied in zahlreichen nationalen und internationalen wissenschaftlichen Gesellschaften, beispielsweise in der British Association of Paediatric Surgeons. Er ist korrespondierendes Mitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Kinderchirurgie. Ehrenmitglied ist er in der deutschen, österreichischen, polnischen und ungarischen Gesellschaft für Kinderchirurgie, in der Berliner Chirurgischen Gesellschaft und im Landesverband für ambulantes Operieren Land Brandenburg e. V. Von seinen Auszeichnungen seien hier die Fritz-Rehbein-Ehrenmedaille der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie und „The Memorial Medal of the Medical University of Gdansk“ für fruchtbare internationale Zusammenarbeit und Förderung des Faches Kinderchirurgie erwähnt.

Die Laudatio wäre unvollständig, wenn nicht seine kulturellen und musischen Vorlieben Erwähnung fänden. An seinem Spinett findet er – wie in jungen Jahren - Momente der Einkehr und Entspannung. Als enger Freund Peter Schreiers kennt er nicht nur dessen vielseitiges Repertoire, sondern er versteht und erlebt Musik in ihrer unendlichen Weite und bereichernden Tiefe. Den weltberühmten Tenor und Dirigenten Peter Schreier lernte er über zwei bekannte Organisten kennen, nämlich Robert Köbler (1912 bis 1970) und Johannes Ernst Köhler (1910 bis 1990). Sie brachten ihm auf persönlich-freundschaftliche Art die Kirchenmusik ganz nahe. Selbstverständlich erhält er zu jedem Auftritt Peter Schreiers eine persönliche Einladung. Darüber hinaus gehört es für Kurt Gdanietz zu einer lieb gewordenen Tradition, einmal im Jahr zum Wiener Zentralfriedhof zu reisen, um die großen Komponisten an ihren Gräbern mit Verehrung und Dankbarkeit zu besuchen.

Lieber Kurt, mit Hochachtung verneige ich mich vor Deiner Lebensleistung und danke Dir für unsere lebenslange Freundschaft.

 

Burkhard Schneeweiß
Professor Dr. med. habil.
ehem. Chefarzt der Kinderklinik im Klinikum Berlin-Friedrichshain