Kindergesundheit nach 1945

zum Thema: Sonderheft der Monatsschrift Kinderheilkunde

Zur Zeitgeschichte der Kinderheilkunde in der Bundesrepublik und in der DDR

Zu diesem Thema hatte die Historische Kommission der DGKJ in das Institut für Geschichte der Medizin der Charité, Sitz Berlin-Dahlem, interessierte Mitglieder der DGKJ für den 20./21.02.2015 zu ihrer 2. Arbeitstagung eingeladen.

Zehn Vorträge wurden gehalten, acht zur Zeitgeschichte der Pädiatrie, zwei zur Kinderchirurgie. Wenn auch die Beiträge stark biographische Züge trugen, entsprachen sie dem Anliegen.

In der am 18. September 1883 gegründeten „Gesellschaft für Kinderheilkunde", aus der später die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DGKJ) hervorging, untersucht die Historische Kommission seit über zwei Jahrzehnten die Zeitgeschichte der pädiatrischen Fachgesellschaft und führt seit vielen Jahren Symposien dazu durch (Dr. Th. Lennert, Mitglied der Kommission), einst auf Jahrestagungen, nun zum zweiten Mal als selbständige Veranstaltung.

Aufgabe der Kommission ist, nach eigenen Angaben, die Sammlung, Bewahrung und Bereitstellung historischer Materialien zur deutschen Pädiatrie und ihrer Spezialgebiete, zum Berufsstand der Kinderärzte sowie zu sonstigen Heil- und Pflegeberufen am Kind.

Mit der sehr verdienstvollen 2. Arbeitstagung fand die aktive Auseinandersetzung mit der Geschichte der Pädiatrie ihre Fortsetzung. Dazu referierten im ersten Abschnitt Dr. Annette Hinz-Wessels und PD Dr. Thomas Beddies, beide vom Institut für Geschichte der Medizin, zur Besetzung von Lehrstühlen für Kinderheilkunde in der SBZ (Sowjetisch Besetzte Zone) und späteren DDR, sowie in den westlichen Besatzungszonen und der darauffolgenden Bundesrepublik. Erschreckend war zu erfahren, wie groß die Zahl der Lehrstuhlinhaber war, die Mitglied der NSDAP gewesen sind.

Im zweiten Abschnitt setzten sich die Medizinhistorikerin Dr. Susanne Hahn (Leipzig) und zwei Pädiater der ehemaligen DDR, PD Dr. Roland Eulitz (Reifenstein) sowie Dr. Ernst Fukala (Halle/S.) mit der Pflege, Erziehung und Prophylaxe für Kinder, mit der Sozialpädiatrie, sowie mit Alltagsproblemen eines Kinderarztes in der DDR auseinander. Negatives, Positives und Bewahrenswertes wurde dargestellt und von Zeitzeugen, wie z. B. vom ehemaligen Leiter der Kinderklinik im Krankenhaus Berlin Friedrichshain, Professor Schneeweiß, mit Diskussionsbeiträgen bereichert.

Der dritte Abschnitt bot einen Streifzug durch die akademische Kinderheilkunde in Bonn in der Nachkriegszeit (Dr. Anne-0mmen-Halbach) und die Agenda von Hermann Mai (Dr. S. Topp), Direktor der Universitätskinderklinik Münster, der als Leiter der Reichsuniversität Prag Mitglied der NSDAP, SA, SS und weiterer NS-Organisationen war, der 1952 zum ersten Mal an das Spital nach Lambarene kam und 1976 für einige Zeit als Chefarzt die Leitung des Gesamthospitals Lambarene übernahm. Er war viele Jahre Vorsitzender des Deutschen Hilfsvereins und Vizepräsident der Internationalen Albert-Schweitzer-Gesellschaft. Hermann Mai starb am 10. März 2001 in Münster (Westfalen).

Im vierten Abschnitt wurde die Aufmerksamkeit der Teilnehmer auf Vorträge zweier Kinderchirurgen der DGKCH, Prof. Dr. Frank Höpner (München) und Prof. Dr. Volker Hofmann (Halle/S.) gelenkt, die in ihren Ausführungen Markantes zur Identifikation kinderchirurgischer Zeitgeschichte in der DDR und der Bundesrepublik heranzogen.
Beide haben die Historie der Kinderchirurgie in Deutschland nach 1945 im Andenken an die Taten ihrer und anderer Protagonisten vor Augen geführt.

Frank HoepnerBezogen auf diese leitete Frank Höpner seine Gedanken und Gefühle mit dem Goethe-Zitat: Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt, der froh von ihren Taten, ihrer Größe, den Hörer unterhält... ein und reflektierte in seinem Vortrag: Wo steht die Kinderchirurgie? - eine Ortsbestimmung an Hand ihrer Geschichte nach 1945, die fachlichen Leistungen und moralischen Haltungen der geistigen Wegbereiter und Schildträger der Kinderchirurgie in Deutschland: A. Oberniedermayr (*1899, † 1986), F. Rehbein (*1911, † 1991), Ilse Krause (*1917, † 1984), F. Meißner (*1920, † 2004).

Höpner erläuterte, dass vor 1945 selbstverständlich Kinder bereits in selbständigen Einrichtungen operiert worden sind. Zu nennen sind das 1910 in München geschaffene Extraordinariat für Kinderchirurgie für Wilhelm Herzog (Chir. Orthopäd. Klinik im Kinderspital), der im Jüdischen Krankenhaus Berlin tätig gewesene Chirurg Ferdinand Karewski (*1858, † 1923), dessen Buch, Die chirurgischen Krankheiten des Kindesalters 1884 erschienen ist, Robert Hermann Tillmanns (*1844, † 1927), 1889 Gründer der chirurgischen Kinderabteilung der Leipziger Medizinischen Fakultät. Damit gab es bereits ein kinderchirurgisches Fundament. Doch die eigentliche Entwicklung, welche die Kinderchirurgie in Deutschland zur Weltgeltung führte, gab es erst nach 1945. Sie ging im Osten vornehmlich von Leipzig und Berlin-Buch, im Westen von München und Bremen aus, verdeutlichte Höpner. Im weiteren Verlauf seines Vortrags zeichnete er die eigenständigen organisatorischen Entwicklungen und Entfaltungen des Faches in Ost und West, bis hin zur friedlichen Revolution mit dem Mauerfall 1989 nach, beschrieb den menschlichen und fachlichen Zusammenhalt der Kinderchirurgen in Europa, brachte Beispiele freundschaftlicher Begegnungen mit Kollegen aus „Ländern, die unmittelbar zuvor Kriegsgegner waren" und malte aus, wie nicht selten Kontrollmaßnahmen von Grenzorganen der DDR manche Treffen negativ begleiteten.
Der Ortsbestimmung der Kinderchirurgie in Deutschland legte Frank Höpner die Lebensleistungen ihrer Vorkämpfer F. Meißner, Ilse Krause, A. Oberniedermayr, F. Rehbein zugrunde und veranschaulichte diese im europäischen Kontext. Im Einzelnen wurde zu den Wegbereitern ausgeführt:

Fritz MeissnerFritz Meißner war erster Vorsitzender der AG Kinderchirurgie (1964), der Sektion (1968) und der Gesellschaft für Kinderchirurgie der DDR (1985). Er war für den universitären Bereich der Kinderchirurgie in der DDR bestimmend. Die Kinderchirurgie entwickelte sich „mal unter dem Dach mit den Pädiatern, mal mit den Chirurgen, mal unter einem eigenen", aber stets in Betreuungseinheit mit Kinderärzten. Und es war nicht immer leicht, die traditionsgebundenen Chirurgen von den Vorzügen einer um ihrer selbst betriebenen Kinderchirurgie zu überzeugen (Meißner). Die Kinderchirurgen in der DDR hatten das bei der überwiegenden Zahl der Chirurgen geschafft. Meißner war Ehrenmitglied medizinischer Gesellschaften, verdienter Arzt des Volkes, Mitglied der Leopoldina, Ehrensenator der Leipziger Universität, Ehrenpräsident der DGKCH, Träger der Fritz-Rehbein-Ehrenmedaille und wurde mit der höchsten akademischen Würde, dem Dr. h.c., ausgezeichnet. Hinter all dem verbergen sich Beginn und Aufschwung der Entwicklung der Kinderchirurgie in der DDR, über die Frank Höpner referierte. Er ließ auch Fehlschläge nicht unerwähnt, stellte die Schüler Meißners heraus, die zur flächendeckenden Versorgung kinderchirurgisch kranker Kinder beitrugen, nannte seine Nachfolger Wolfram Tischer und Joachim Bennek, der die „Kinderchirurgie in Leipzig in alter und neuer Geschichte" in einem Buch publik machte.
„Der aufrechte Mann Meißner", sagte der Redner, „hatte sehr gelitten. Sein Schüler Volker Hofmann schrieb zum 75. Geburtstag: ‚Wenn ich Bundespräsident wäre, würde ich ihm das Bundesverdienstkreuz an die geschundene Brust hängen und seine miese Pension aufstocken. Aber ich bin es nicht und werde ihn mit vielen anderen im Herzen bewahren und das ist wohl wertvoller als jeder Orden'." Fritz Meißner starb am 16. Januar 2004 in Leipzig.

Ilse KrauseIlse Krause war nach Meißner Leiterin der Sektion Kinderchirurgie (1971/72) der Gesellschaft für Chirurgie der DDR und die einzige Frau, die bisher an der Spitze der Kinderchirurgen stand. Frank Höpner berichtete, dass er einer Frau mit moralischer Geradheit begegnete. Sie umgab eine Aura der Tüchtigkeit, die ihr in Mitarbeiterkreisen den Ehrentitel Mutter Krause einbrachte. Sie war in der Tat „Mutter" für ihre Klinik, „Mutter" der Kinderchirurgie. Gegen viele Widerstände begann sie 1956 mit dem Aufbau einer kinderchirurgischen Einrichtung in Ost-Berlin, mit drei Betten, wie sie sagte, die mit 133 Betten, neben Leipzig, zu einer der größten kinderchirurgischen Kliniken der DDR anwuchs und prägend für den nichtuniversitären Bereich, für die allmählich entstandenen kinderchirurgischen Einrichtungen (außer Akademien) wurde. Ihre Klinik war als Fortbildungszentrum mit der Akademie für ärztliche Fortbildung, gegründet 1954, Namensträgerin ab 1972, die Promotions- und Habilitationsrechte besaß, über den Lehrstuhl für Kinderchirurgie verbunden. Ilse Krause war die erste Deutsche, die den Facharzttitel Kinderchirurgie erhielt; das war 1958. 1967 wurde er abgeschafft, 1974 dann endgültig eingeführt. Kraft schöpfte sie aus ihrem christlichen Glauben. An den Leistungen der habilitierten, europaweit bekannten Kinderchirurgin kam die Obrigkeit nicht vorbei und sie wurde verdient, „Verdiente Ärztin des Volkes". Ein entscheidender Erfolg in der Behauptung der Kinderchirurgen gegenüber den Chirurgen in Berlin war, dass sie als erste an der Charité Vorlesungen über Kinderchirurgie hielt. Gleich Meißner erlitt auch Ilse Krause Fehlschläge. Doch mit einem eingeschworenen Team wurde dem wirksam entgegengehalten. Ihr Werk setzten die Nachfolger Kurt Gdanietz und Götz Borgwardt mit einer einsatzfreudigen Mannschaft fort. Wie Meißners Bemühungen um den Aufbau einer Kinderchirurgie in der DDR, lassen auch Ilse Krauses Engagement nur erahnen, welche physischen und geistigen Leistungen aufgebracht werden mussten, um mit Gleichgesinnten der Forderung: Kinder brauchen von Geburt an den für sie kompetenten Chirurgen, gerecht zu werden. Ihr Name bleibt im ILSE-KRAUSE-NACHWUCHSPREIS der DGKCH in Erinnerung. Die erste Kinderchirurgin Deutschlands und Mitgründerin der Kinderchirurgie in der DDR, Ilse Krause, starb am 16. September 1984 in Berlin.

Die Entwicklung einer kindgerechten Chirurgie nach 1945, die mit Pädiatern das Ziel verfolgte, Kindergesundheit zu maximieren, wurde gleichermaßen von wissenschaftlichen, Forschungs- und Versorgungspotentialen kinderchirurgischer Einrichtungen der fünf weiteren Universitäten der DDR, den drei Medizinischen Akademien, den Bezirks-, Kreiskranken- und konfessionellen Häusern mit bestimmt (ausführliche Darstellung dazu in „Entwicklung der Kinderchirurgie in der DDR", Archiv der DGKCH).

Anton OberniedermayrAnton Oberniedermayr war Gründer der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie. Seine NSDAP Mitgliedschaft führte 1945 zur Enthebung von seinen Funktionen, sogar zum Verbot jeder ärztlichen Tätigkeit. Nachdem er von der Spruchkammer als Mitläufer eingestuft worden war, übernahm er 1954 die Leitung der kinderchirurgischen Abteilung an der Universitätskinderklinik in München, die unter seiner Ägide hohes internationales Ansehen erlangte. Berufspolitisch agierte er schnell, denn 1957 entstand in der westdeutschen Gesellschaft für Chirurgie bereits die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kinderchirurgen. Auf einer Sitzung der Chirurgen am 17. April 1963 überrumpelte er diese mit der Gründung der west-deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie. Obwohl es dem Gründungspräsidenten Oberniedermayr zustand, erster gewählter Präsident der DGKCH zu werden, schlug er für dieses Amt den 12 Jahre jüngeren Fritz Rehbein vor. Ein emotionales Detail aus dem Protokoll der Präsidentenwahl war die Hinwendung des Redners an einen Teilnehmer der damaligen Abstimmung, an den anwesenden heute 88 jährigen Zeitzeugen, Prof. Wolfgang Haße, Berlin-West, dessen Namen das Protokoll der ersten Präsidentenwahl der DGKCH trägt. Frank Höpner schilderte Oberniedermayr als eine stets bestens gekleidete, manchmal unnahbar wirkende, überaus korrekte Persönlichkeit, die kein Kumpeltyp war, sich im beruflichen Bereich mit niemandem duzte. OB, wie Oberniedermayr genannt wurde, war ein begnadeter Operateur, war Pionier auf dem Gebiet der Hydrozephalus-, Ventil- und Spina bifida-Operationen, in der Hüftgelenkserkrankungs- und –missbildungschirurgie, der plastischen und Abdominalchirurgie. Er hatte ein großes Herz für behinderte Kinder und war völlig fern von dem, was im III. Reich als lebensunwertes Leben galt. Nachhaltig ist sein dreibändiges Werk Lehrbuch der Chirurgie und Orthopädie des Kindesalters. Der Begründer der DGKCH, Anton Oberniedermayr, starb am 23. Juli 1986 in Starnberg.

Fritz RehbeinFritz Rehbein führte die Kinderchirurgie in Deutschland zur Blüte. Von 1951 bis 1976 leitete er die Kinderchirurgische Klinik in Bremen, die ein international anerkanntes Zentrum fortschrittlicher Operationstechniken war. Rehbeins Techniken waren epochal. Bremen entwickelte sich zum Mekka für Kinderchirurgie, wohin es auch viele ausländische Kinderchirurgen zog. Bei Rehbein gewesen zu sein, glich ungefähr einem kinderchirurgischen Ritterschlag, sagte Höpner. Ilse Krause war mehrfach bei ihm. Wer in den 60er Jahren eine kinderchirurgische Einrichtung leitete, war entweder Oberniedermayr- oder Rehbeinschüler. Rehbein genoss im In- und Ausland hohes Ansehen. Er gründete 1964 mit G. Joppich und K. – A. Bushe die Zeitschrift für Kinderchirurgie, die zum heutigen European Journal of Pediatric Surgery mutierte. Er hinterließ das didaktisch einmalige Lehrbuch Kinderchirurgische Operationen ausgewählter Einriffe. Seine Wertschätzung drückt sich in der Ehrenmitgliedschaft der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und in weiteren Fachgesellschaften aus. Er war Honorary Fellow der „American Academy of Pediatrics", Mitglied der Leopoldina, erhielt die Ehrendoktorwürde der gesamten Heilkunde der Universität Graz und wurde mit der höchsten Auszeichnung der deutschen Ärzteschaft, der Paracelsusmedaille, geehrt. Er war der zweite Ehrenpräsident der DGKCH, deren höchste Auszeichnung die FRITZ-REHBEIN-EHRENMEDAILLE ist. Ehemalige Patienten schilderten Rehbein als "ausgesprochen warmherzigen Menschen". Der Mitgründer der deutschen Kinderchirurgie starb am 7. September 1991 in Bremen.

Trotz der Teilung Deutschlands fühlten sich die Kinderchirurgen in Ost und West zusammengehörig. Und so wurde das einst gefühlte Miteinander durch die Vereinigung der beiden kinderchirurgischen Gesellschaften am 17. November 1990 zur zeithistorischen Realität.

In der Beantwortung der Frage nach dem Standort der Kinderchirurgie heute, wurde Höpner nachdenklich und ernst. Er führte an, dass es in Deutschland 224 kinderchirurgische Einheiten, Praxen, Abteilungen, Kliniken gibt. 32 sind universitär, davon 17 als Ordinariate oder Extraordinariate und meinte, dass diese kinderchirurgischen Einrichtungen leider nicht optimal auf Deutschland verteilt wären (Problem der Flächendeckung). Die Kliniken und Abteilungen sind entweder im Verbund mit einer Kinder- oder einer Chirurgischen Klinik. Zur gedeihlichen Zusammenarbeit gehört jedoch die Partnerschaft mit dem Kinderarzt und dem Chirurgen. Dazu passt Höpners Imperativsatz: „Wir brauchen beide Partner und sie brauchen uns!" Er strich heraus, dass Kinderchirurgen bessere Chirurgen für Kinder sind, mit dazugehörigem handwerklichen Rüstzeug und Zugang zur kindlichen Seele. Die Väter und Mütter der Kinderchirurgie lebten das vor und zeigten, wie das geht. Die Feststellung, dass die Hälfte der Kinder jenseits des 2. Lebensjahres nicht von Kinderchirurgen operiert wird, ließ aufhorchen. Das war in der DDR anders. Am 22.11.1968 fand eine Sitzung statt, auf der das Gesundheitsministerium der DDR sein Interesse an einer qualifizierten chirurgischen Versorgung der Kinder bekundete. Dem schlossen sich die Gesellschaft für Chirurgie und die der Pädiatrie mit der Forderung an, endlich an allen Chirurgischen Universitäts- und Akademiekliniken und an allen Bezirkskrankenhäusern kinderchirurgische Fachabteilungen zu errichten, die von Fachkinderchirurgen zu leiten sind. Das wurde umgesetzt. Höpner führte dazu aus: „Wir hatten nie und haben auch jetzt nicht eine Verordnung wie einst in der DDR, dass es da, wo Chirurgie betrieben wird, auch eine fachärztlich geleitete Kinderchirurgie geben muss." Er setzt auf Überzeugung und Partnerschaft.

Höpner schloss seine historischen Betrachtungen mit einem Zitat aus einem Brief von Prof. Meißner. Es sind Worte, die auf die kinderchirurgischen Lehrer abzielen: „Was sie uns zu Lebzeiten lehrten, bleibt bei uns. Alles, was sie für uns getan haben, formt und verändert uns. Und die Art und Weise, wie sie auf uns einwirken, lässt uns auch die Menschen beeinflussen...".

Volker HofmannDen zweiten kinderchirurgischen Vortrag hielt Prof. Hofmann (Halle/S.). Er sprach über die „Anfänge der pädiatrischen Sonographie." , die vor etwa 40 Jahren ihre klinische Bedeutung erlangt hat. Volker Hofmann ist weltweit der erste, der ein Buch über die Ultraschalldiagnostik im Kindesalter geschrieben hat, das 1981 erschienen ist und bereits die 4., stark erweiterte, Auflage erlangte. Über die Anfänge der inzwischen mit Abstand häufigsten bildgebenden diagnostischen Methode informiert zu werden, war lehrreich, noch dazu von einem schon damals mit innovativem Kompetenzmanagement gesteuerten Zeitzeugen.
Alles begann mit dem Wiener Neurologen und Psychiater Karl Theodor Dussik (*1908, † 1968), der erstmals 1942 den Schädel durchschallte, um die Ventrikel abzubilden. Er nannte dies Hypersonographie. Aber dieser Weg der Durchschallung ohne Schallreflexion führte nicht weiter, beschrieb Hofmann die ersten Versuche. Mit Dussik aber beginnt die Geschichte der Sonographie und findet nach einigen Zwischenstufen mit dem jungen Ingenieur Richard Soldner bei Siemens in Erlangen ihre Fortsetzung. Ihm wird 1960 der Bereich Ultraschall in der Entwicklungsabteilung der Siemens-Reiniger-Werke übertragen, wo er die eigentlich längst bedeutungslos gewordenen Ultraschalltherapiegeräte weiterentwickeln sollte. Stattdessen befasste er sich mit der Ultraschalldiagnostik, wurde zum Begründer der heute ausschließlich angewandten Real-time-Technik und konstruierte den Prototyp des legendären Vidosons, des weltweit ersten schnellen B-Bildes. Nach dieser Einführung, leitete Hofmann auf die Geschichte der Ultraschalldiagnostik im Kindesalter über und brachte zum Ausdruck, dass es erst mit dem von Soldner entwickelten schnellen B-Bild möglich wurde, bei Neugeborenen, Säuglingen und Kindern verwertbare Bilder zu erhalten. Man hätte vermuten können, dass alle Welt über eine Bildgebung auf ganz neuem Wege, ohne Röntgenstrahlenbelastung und andere Nachteile, begeistert gewesen wäre. Im Gegenteil, sagte Hofmann, die Sonografie hatte es in der Anfangszeit sehr schwer, sich durchzusetzen und nannte als Gründe, dass z. B. die Bilder eher Mondlandschaften und Wetterkarten ähnelten, dass es kompliziert war, verständliche Bilder herzustellen, und dass es in der Weltliteratur für die diagnostische Ultraschallanwendung im Kindesalter kaum Veröffentlichungen gab, die ohnehin in der DDR kaum beschaffbar waren. Hofmann leistete publizistische Pionierarbeit, denn er konnte 1979 den VEB-Georg-Thieme-Verlag (Leipzig) für eine Zusammenstellung von Bildern auf teuer importiertem Glanzpapier gewinnen. Zu den genannten technischen Problemen, kamen in der DDR zusätzlich politische. Die wenigen Vidosongeräte standen fast ausschließlich in konfessionellen Einrichtungen, V. Hofmann, ehemaliger Chefarzt der Klinik für Kinderchirurgie am Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara Halle/Saale, 1977 – 2003, besaß ein solches, konnte, in Zusammenarbeit mit Geburtshelfern und Pädiatern forschen, aber seine Ergebnisse nicht breit genug streuen. Das hätte Bedürfnisse geweckt! Diese im Patienteninteresse zu decken, hätte die Beschaffung von Ultraschallgeräten bedeutet, das scheiterte an der prekären Devisensituation der DDR. In Besprechungen seines ersten Buches war der fehlende Weitblick mancher Rezensenten für das ausbaufähige neue Verfahren zu erkennen. Bald aber gehörte die Ultraschalluntersuchung zur vorherrschenden bildgebenden Diagnostik in der Kindermedizin. In seinem Vortrag erläuterte er auch Probleme, die sich im Zuge allmählich verbessernder Bildqualität herausstellten und streifte ärztliche und ethische Entscheidungsschwierigkeiten bei pränatalen Missbildungen. Erfreuliches konnte er Operateuren verkünden, weil im Zusammenwirken mit der Dopplersonografie selbst feinste Gefäße mit einer Nahauflösung bereits unter 0,5 mm dargestellt werden können.
Hofmann schloss seinen Vortrag mit dem bescheidenen Hinweis, dass es seine Absicht war, „ein Stück Medizingeschichte aus unserer Zeit vorzustellen, die ich das Glück hatte, miterleben zu dürfen." Er hat sie mitgestaltet!

Die Themen der 2. Arbeitstagung am 20. und 21. Februar 2015 könnten unter das Zitat Richard von Weizsäckers gestellt werden:

„Wir Älteren müssen den Jüngeren helfen zu verstehen, warum es lebenswichtig ist, die Erinnerungen wach zu halten."

Prof. Dr. Kurt Gdanietz