Bessere Operationsergebnisse und lückenlose Nachsorge bei angeborenen Fehlbildungen: Kinderchirurgen und Elterninitiativen gemeinsam für Zentralisierung und Transition

Berlin, 4. Dezember 2019 – Das Stammgebiet der Kinderchirurgie sind die angeborenen Fehlbildungen. Die fehlende oder nicht korrekte Anlage von Speiseröhre oder Enddarm, der fehlende Bauchdeckenverschluss oder der offene Rücken sind hierfür typische Beispiele. 

Die Fachgesellschaft hat ein großes Interesse daran, die Behandlung und Betreuung dieser Kinder kontinuierlich sowohl auf medizinischem Gebiet als auch strukturell fortzuentwickeln. Das schließt heute, wo die Sterblichkeit aufgrund dieser Fehlbildungen sehr gering geworden ist, auch die „Übergabe“ ins Erwachsenenalter ein.

Selbsthilfegruppen und Patienteninitiativen sind wichtige Interessenvertreter im Gesundheitswesen. Sie bringen die Sicht der Betroffenen ein und fördern Prozesse zur Patientensicherheit und Qualitätsverbesserung. Für das Kindesalter handelt es sich dabei um Elterninitiativen, die im wohlverstandenen Interesse ihrer erkrankten Kinder das Mandat der „Betroffenen“ wahrnehmen. Diese Interessen sind natürlich immer Diagnose-zentriert, haben sich inzwischen weit in die Adoleszenz ausgedehnt (Jugendgruppen) und umfassen auch die Probleme der Pubertät und den Übergang in das Erwachsenenalter.

Der Dialog der Fachgesellschaft mit den Elterninitiativen ist in beiderlei Richtung sehr wichtig. Wir wollen die Erfahrungen und Erlebnisse der betroffenen Eltern einschließen, aber auch immer wieder Verständnis dafür wecken, dass es in der Behandlung komplexer Fehlbildungen nicht immer nur den einen erfolgreichen und komplikationsfreien Weg gibt. Dabei wollen wir diese Kommunikation nicht den wissenschaftlichen Beiräten alleine überlassen, sondern vonseiten des Vorstandes agieren. Hierzu haben 2019 drei „Runde Tisch“-Gespräche stattgefunden, beteiligt waren vonseiten der Eltern KEKS (Speiseröhrenfehlbildung), SoMA (anorektale Fehlbildung) und ASbH (offener Rücken, Hirnwasserflussstörung). Dabei waren die Erwartungen durchaus differenziert, vor allem war zu verdeutlichen, dass die Fachgesellschaft kein fachliches Durchgriffsrecht und keine Regulationsmöglichkeiten in die Kliniken und Praxen hinein hat.

Große Übereinstimmung besteht zwischen den Elterngruppen und der Fachgesellschaft, dass es für komplexe Fehlbildungen im Neugeborenenalter eine Zentralisierung geben muss. Die begrenzte Inzidenz der Fehlbildungen (zwischen 1:2 000 und 1:20 000 Neugeborene) führt dazu, dass viele Diagnosen nur im einstelligen Bereich pro Jahr und Klinik auftreten. Andererseits wissen wir für die Chirurgie, dass Häufigkeit der OP und Ergebnisqualität miteinander in Beziehung stehen. Für die Gallenwegsfehlbildungen hat sich in England gezeigt, dass das Fünf-Jahres-Überleben mit eigener und funktionierender Leber von 20 Prozent auf 50 Prozent angestiegen ist, nachdem die Diagnose auf drei Zentren beschränkt wurde. Hier ist die DGKCH weit fortgeschritten, eine vergleichbare Regelung aus eigener Kraft und ohne politische Vorgabe zu treffen. Im nächsten Schritt müssen weitere komplexe Diagnosen in gleicher Weise zentralisiert werden. Hierzu ist ein Neugeborenen-OP-Register in Vorbereitung, aus dessen Daten Regionalisierungen, Kooperationen und Ähnliches abgeleitet werden können und müssen.

Daneben gilt das Augenmerk von Elterngruppen und Fachgesellschaft der Übergabe der Patienten in die Erwachsenenmedizin, sogenannte Transition. Die Kinder überleben heute auch schwere Begleitfehlbildungen vor allem des Herzens und werden erwachsen. Dort treffen sie auf ein System, das mit den spezifischen Diagnosen und ihren Problemen nicht vertraut ist und wenig Erfahrung mit der Betreuung junger, aber schon langjährig funktionsgestörter und damit chronisch kranker Patienten hat. Vereinzelt gibt es gut funktionierende Modelle, häufig können wir und die Elterngruppen aber bei entsprechenden Anfragen keine Kontaktstellen in der Erwachsenenmedizin benennen. Der gastro-ösophageale Reflux (Rückfluss von Magensaft in die Speiseröhre) bedeutet bei einem 20-Jährigen mit angeborener Speiseröhrenfehlbildung und dadurch grundsätzlich gestörter Motilität etwas anderes als beim 50-jährigen Raucher. Und die Stuhlinkontinenz ist nach Analatresie mit Anlage-bedingt suboptimalem Schließmuskel bei einem Jugendlichen zu differenzieren von einer degenerativen Problematik im Alter. Hier haben wir Gesprächskontakte mit der DGAV (Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie) und der DGVS (Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten) geknüpft, um eine systematischere Weiterbetreuung vorzubereiten.

Eltern und behandelnde Ärzte von Kindern mit angeborenen Fehlbildungen haben zwei gemeinsame Ziele: die Qualität der primären Versorgung zu optimieren und eine kontinuierliche Nachsorge über das Kindesalter hinaus zu gewährleisten. Die Qualität der Erstversorgung hängt sehr stark von der einen Operation, aber auch von den strukturellen Gegebenheiten und der Erfahrung vor Ort ab, damit aber ganz klar von der lokalen Häufigkeit! Für die Nachsorge müssen wir ein Netzwerk konzipieren, was bei zentralisierter Erstversorgung auch einfacher geht. Deshalb:
Kinderchirurgen und Elterninitiativen gemeinsam für Zentralisierung und Transition!

Professor Dr. med. Bernd Tillig
Ehemaliger Präsident
Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH)
Direktor der Klinik für Kinder- und Neugeborenenchirurgie und Kinderurologie, Vivantes Klinikum Neukölln, Berlin

Die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie

Gegründet im Jahr 1963, schafft die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) bis heute Grundlagen für eine bestmögliche kinderchirurgische Versorgung in Deutschland. Dazu gehören Neugeborenenchirurgie, allgemeine Kinderchirurgie und Kindertraumatologie ebenso wie Kinderurologie. Die DGKCH vertritt das Fach in allen wissenschaftlichen, fachlichen und beruflichen Belangen. Derzeit praktizieren hierzulande Fachärzte für Kinderchirurgie in mehr als 80 kinderchirurgischen Kliniken, Abteilungen und als Niedergelassene. Kinderchirurgie gehört in die Hände von Kinderchirurgen. Denn ihre Patienten sind keine kleinen Erwachsenen. 

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